Die Kunst der Gin Verkostung
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Auf den Spuren der Seeräuber, die einst das Meer durchkreuzten, um Schätze zu bergen, begeben wir uns heute auf eine Reise in die Welt der Aromen. Wie die Seeräuber die Tiefen des Ozeans nach kostbaren Fundstücken durchsuchten, so erkunden wir die Tiefen unserer Sinne – vom ersten Duft bis zum letzten Nachhall. Ein Tasting ist nicht nur Genuss, sondern auch Abenteuer: eine Entdeckung, die in drei Stufen erfolgt.
Die Geschichte dieser Reise ist eng verwoben mit den landwirtschaftlichen Wurzeln meiner Familie. Mein Großvater, ein Mann der Erde und des Lebens, lehrte mich, die Geheimnisse der Natur zu schätzen. Er sprach oft von der Geduld, die es braucht, um die besten Früchte zu ernten, und von der Sorgfalt, mit der man Schätze der Erde behandeln muss. Diese Philosophie spiegelt sich in jedem Tropfen wider, den wir heute verkosten.
Hierbei führen wir euch durch das Riechen, Schmecken und Erleben des Abgangs, begleitet von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die erklären, warum jede Phase so einzigartig ist. Zudem beantworten wir grundlegende Fragen rund um das Gin-Tasting. Also hebe das Glas, setze die Segel – und lasse dich von der Kunst des Verkostens in den Bann ziehen.
Wie sieht eine gute Umgebung für ein Tasting aus?
Ein professionelles Tasting erfordert mehr als nur das bloße Probieren von Spirituosen. Es ist eine Kunst, die durch systematisches Vorgehen und geschulte Sinne perfektioniert wird. Hier sind die wesentlichen Schritte und Überlegungen, die Profis bei der Verkostung von Rum, Gin und Brandy beachten:
Vorbereitung
- Neutraler Gaumen: Mindestens eine Stunde vor dem Tasting sollte weder geraucht noch Kaffee oder stark aromatische Speisen konsumiert werden, da diese die Geschmacksempfindungen beeinträchtigen können.
- Optimale Tageszeit: Die sensorische Wahrnehmung variiert im Tagesverlauf. Viele Verkoster bevorzugen den späten Vormittag, da die Sinne zu dieser Zeit oft am empfindlichsten sind.
Umgebung
- Ruhiger, heller Raum: Ein gut beleuchteter und geruchsneutraler Raum ohne Ablenkungen fördert die Konzentration auf die sensorischen Eindrücke.
- Weißer Hintergrund: Ein weißer Untergrund erleichtert die Beurteilung der Farbe und Klarheit der Spirituose.
Glaswahl
Die Form des Glases beeinflusst die Wahrnehmung der Aromen erheblich. Tulpenförmige Gläser mit schmaler Öffnung sind ideal, da sie die Aromen konzentrieren und zum Riechen leiten.
Gin: Tumbler, Copa oder Nosing-Glas
- Tumbler: Ein Tumbler wird oft für Gin pur verwendet, besonders wenn man Gin auf Eis (on the rocks) probieren möchte.
- Copa-Glas: Für Cocktails wie Gin Tonic ist ein Copa-Glas (bauchig, mit großem Kelch) optimal, da es Platz für Eiswürfel und Botanicals bietet und die Aromen im Getränk nicht verloren gehen.
- Nosing-Glas: Für ein reines Gin-Tasting ist jedoch ein Nosing-Glas ideal. Es konzentriert die Aromen der Botanicals (z. B. Wacholder, Zitrus oder Kräuter) und hilft, die Nuancen besser zu erkennen.
Warum? Gin hat oft subtile und sehr unterschiedliche Botanicals, die durch die Form des Glases intensiviert werden. Ein Copa-Glas ist für Mixgetränke, ein Nosing-Glas jedoch für die puristische Verkostung gedacht.
Verkostungsschritte
- Auge: Beurteile die Farbe, Klarheit und Viskosität der Spirituose. Schwenke das Glas leicht, um die "Kirchenfenster" oder "Beine" zu beobachten, die Hinweise auf den Alkoholgehalt und die Textur geben.
- Nase: Nimm zunächst einen sanften Duft wahr, um die ersten flüchtigen Aromen zu erfassen. Anschließend schwenke das Glas, um die Aromen freizusetzen, und nimm einen tieferen Duft, um komplexere Noten zu identifizieren.
- Mund: Nimm einen kleinen Schluck und lasse die Spirituose über die Zunge rollen, um die verschiedenen Geschmacksknospen anzusprechen. Atme leicht durch den Mund ein, um die Aromen zu intensivieren (Retro-Nasale Wahrnehmung).
- Abgang: Beobachte die Dauer und Qualität des Nachgeschmacks. Ein langer, angenehmer Abgang weist oft auf eine hochwertige Spirituose hin.
Notizen
Halte Eindrücke zu Aussehen, Aroma, Geschmack und Abgang fest. Dies hilft, die verschiedenen Proben zu vergleichen und ein detailliertes Profil jeder Spirituose zu erstellen.
Wasser und Neutralisation
- Wasser: Zwischen den Proben sollte stilles Wasser getrunken werden, um den Gaumen zu reinigen.
- Neutralisatoren: Neutrale Snacks wie ungesalzene Cracker oder Brot können helfen, den Geschmackssinn zu neutralisieren.
Reihenfolge der Verkostung
Beginne mit leichteren, weniger komplexen Spirituosen und arbeite dich zu schwereren, aromatischeren Proben vor, um die Sinne nicht zu überfordern.
Wiederholung und Übung
Regelmäßiges Üben schärft die sensorischen Fähigkeiten und ermöglicht es, auch subtile Unterschiede zu erkennen.
Durch die Beachtung dieser Schritte kann ein Tasting professionell und systematisch durchgeführt werden, was zu einem tieferen Verständnis und einer größeren Wertschätzung der verkosteten Spirituosen führt.
Wie erkennt man einen guten Gin?
Ein guter Gin zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
- Komplexität der Aromen: Ein ausgewogener Mix aus Wacholder, Zitrusnoten und Kräutern.
- Klarheit: Keine scharfen oder unangenehmen Noten.
- Nachhaltiger Abgang: Der Geschmack sollte angenehm und langanhaltend sein, ohne übermäßig alkoholisch zu wirken. Mein Großvater sagte immer: „Ein guter Gin erzählt dir eine Geschichte, die du auch nach dem letzten Schluck nicht vergisst.“
Die Stufen des Gin-Tastings im Detail
Bis hierhin haben wir uns mit dem rein technischen Ablauf beschäftigt – der Vorbereitung, die für ein gelungenes Tasting unerlässlich ist. Doch in dem Moment, in dem wir das Glas an die Nase führen, beginnt die eigentliche Magie: ein faszinierender, komplexer Prozess, der unsere Sinne herausfordert und zugleich bereichert.
Bei einem Whisky-Tasting wurde mir einst eine charmante Methode gezeigt, diesen Sinnesweg zu beschreiben. Sie folgt den drei Stufen, die auch benannt werden: Wir beginnen mit einem einladenden „Hello“, setzen mit einem neugierigen „How are you?“ fort und schließen hoffentlich mit einem zufriedenen „Fine, thank you.“
Was hinter diesen Stufen steckt und wie sie dich durch die Welt des Weins, Whiskys oder Gins führen, erfährst du in den nächsten Abschnitten. Mach dich bereit für eine Reise, die alle Sinne berührt – und deinen Horizont erweitert.
Das Riechen – „Hello“
Du hebst das Glas langsam an, als wäre es ein geheimer Schatz, der gerade ans Licht gekommen ist. Die Neugier packt dich, denn noch bevor der erste Tropfen deine Lippen berührt, verspricht der Duft eine Reise in die Tiefen von Aromen und Erinnerungen. Halte das Glas leicht geneigt, lass die Nase vorsichtig darüber schweben und nimm einen sanften Atemzug. Zuerst ist da nur ein Hauch – ein zögerliches Flüstern, das deine Sinne kitzelt. Doch dann, wenn du dich etwas tiefer hinein lehnst, entfaltet sich die wahre Komplexität.
Es ist, als würdest du die Seiten eines alten Logbuchs aufschlagen, das Geschichten von exotischen Gewürzen, reifen Früchten und wärmendem Holz birgt. Ein Hauch von Vanille erinnert an die Sonnenwärme auf Deck, während eine Spur von Zitrus die Frische des offenen Meeres wachruft. Jedes Aroma erzählt seine eigene Geschichte, und du spürst, wie die ersten Assoziationen aufkommen: der Gedanke an Sommertage, winterliche Gemütlichkeit oder ferne Reisen. Mein Großvater hätte gesagt: „Das ist der Duft der Erde, eingefangen in einem Moment.“
Wissenschaftlich gesehen ist das Riechen der Schlüssel zu unserer emotionalen Wahrnehmung. Der Geruchssinn aktiviert das limbische System, das für unsere Emotionen und Erinnerungen zuständig ist. Studien zeigen, dass bestimmte Aromen starke Gefühle hervorrufen können, da sie direkt mit unserem Gedächtnis verknüpft sind. (Higgs, S., et al., 2014, "The neurobiology of food and emotion: A sensory perspective").
Das Schmecken mit der Zunge – „How are you“
Ein kleiner Schluck, und die Aromen beginnen auf deiner Zunge zu tanzen. Zuerst kommen die Grundgeschmäcker: die Süße, die an goldene Sonnenuntergänge erinnert, eine leichte Säure wie die Frische einer Meeresbrise, und die feine Bitterkeit, die an die kühne Rebellion der Seeräuber denken lässt. Auch die Textur des Getränks – cremig, spritzig oder samtig – wird hier wahrgenommen.
In diesem Moment erinnere ich mich an die Worte meines Großvaters: „Die Zunge ist wie ein Feld, das bewässert werden muss, um seine Fruchtbarkeit zu zeigen.“ Er sprach davon, wie der erste Tropfen auf der Zunge die Geschichte eines Getränks eröffnet. Die Süße mag dich an warme Sommertage auf dem Hof erinnern, während die Säure den Geschmack frischer Äpfel oder Zitronen aus dem Obstgarten wachruft. Die Bitterkeit schließlich erinnert an die harte Arbeit – das Pflügen und Säen, das für jede Ernte notwendig ist.
Wissenschaftlich erklärt wird der Geschmack durch die Rezeptoren auf der Zunge, die Informationen über Moleküle wie Zucker, Säuren oder Alkaloide ans Gehirn senden. Diese Wahrnehmung formt unser Urteil über die Qualität und Balance des Getränks. Mein Großvater sagte oft: „Die Zunge lügt nicht. Sie kennt den Unterschied zwischen flüchtiger Süße und tiefer Wahrheit.“ (Small, D. M., et al., 2006, "The brain and the taste of food").
Das Schmecken mit dem Gaumen – „Fine, thank you“
Jetzt entfaltet sich die wahre Seele des Getränks. Der Gaumen ist wie die Weite des Meeres – unendlich und voller Möglichkeiten. Hier vermischen sich die Aromen, um eine Harmonie zu schaffen, die nur durch die perfekte Balance zwischen den Zutaten erreicht wird. Ein sanftes Einziehen von Luft verstärkt die Aromen und gibt dir ein noch intensiveres Erlebnis.
Der Gaumen ist der Ort, an dem sich alle Eindrücke vereinen, und mein Großvater hätte ihn mit der Erntezeit verglichen: „Hier zeigt sich, ob die Früchte reif sind und die Mühe sich gelohnt hat.“ Während die Aromen von Eiche, Honig oder Kräutern am Gaumen verweilen, spürst du, wie die Zeit jedes Element geformt hat – wie ein Acker, der über Jahre hinweg gedüngt und gepflegt wurde, um seine Fruchtbarkeit zu bewahren. Der Abgang, so hätte er gesagt, ist wie der Geschmack des ersten Bissen in eine frisch geerntete Frucht – intensiv, befriedigend und lange nachhallend.
Wissenschaftlich handelt es sich dabei um den retro-nasalen Geschmack, bei dem die Aromen über den Rachen in die Nasenhöhle zurückkehren und eine zweite Wahrnehmungsschicht bilden. (Steinbach, M., et al., 2009, "Mouthfeel and taste perception").
Mein Großvater hätte es so beschrieben: „Der letzte Eindruck ist wie der Abendstern auf See – er bleibt lange im Gedächtnis und weist dir den Weg.“
Finish – Der Abgang
Im Abgang entwickelt der Gin oft ganz neue Aromen. Je nach Sorte kann der Geschmack lange am Gaumen verweilen oder nur kurz aufflackern. Hochwertige Gins zeichnen sich durch einen harmonischen, angenehmen Abgang aus, der die Aromen abrundet und das Gesamterlebnis vervollständigt.
Gut zu wissen: Eiswürfel können Gin auf seiner idealen Trinktemperatur von 13 bis 15 Grad halten, verwässern jedoch die Aromen. Ein Gin on the rocks sollte daher direkt nach dem Servieren genossen werden.
Die Botanicals – Geruch und Geschmack im Gin Tasting schulen
Wacholder – Das Herzstück eines Gins
Der Wacholder ist das Herzstück eines jeden Gins. Bis auf den New Western Style Gin muss jede Ginsorte laut EU-Richtlinien eine deutlich erkennbare Wacholdernote aufweisen.
Doch wie schmeckt Wacholder eigentlich? Zerreibe eine Wacholderbeere zwischen den Fingern, um die ätherischen Öle freizusetzen. Du wirst harzige, fruchtige und leicht süße Aromen wahrnehmen. Beim Reinbeißen kommen zudem bittere Noten hinzu. Diese Aromen sind beim Gin Tasting sofort erkennbar und prägen den Charakter eines klassischen Gins.
Die typische Wacholdernote kann in den verschiedenen Gin-Sorten dominant oder zurückhaltend sein. Daneben gibt es zahlreiche Gewürze, Kräuter, Wurzeln, Früchte und Blüten, die Hersteller für ein komplexes Geschmacksprofil verwenden. Ihre Anzahl kann zwischen 10 und 50 Botanicals variieren. Die Menge der Botanicals ist jedoch kein Hinweis auf Qualität. Ihr Zusammenspiel und Mengenverhältnis spielen eine entscheidende Rolle. Natürlich wirkt sich auch die Qualität der Rohstoffe und ihre Verarbeitung auf den Geschmack aus. Brennmeister halten in der Regel ihre Gin-Rezeptur streng geheim.
Du kannst dein Tasting einfach mit einer wichtigen Frage beginnen: Wie dominant schmeckt der Wacholder?
Aroma-Kategorien für Einsteiger
- Wacholder: Harzig, fruchtig, frisch
- Zitrus: Zitrone, Orange, Grapefruit
- Würzig: Pfeffer, Ingwer, Zimt
- Floral: Lavendel, Kamille, Hibiskus
- Süß: Vanille, Süßholz
Die Milde und Sanftheit des Alkohols beeinflussen die Aromen. Spritiger Geschmack kann das Genusserlebnis trüben. Am Anfang hilft ein Blick auf das Etikett: Anhand der aufgelisteten Botanicals kannst du den Aromen besser auf die Spur kommen. Mit der Zeit wirst du die Botanicals von selbst erkennen.
Botanicals spezifischer einordnen
Geübte Gin-Fans können die Aromen spezifischer einordnen und denken dabei in erweiterten Kategorien. Viele Botanicals weisen mehrere Eigenschaften gleichzeitig auf. Wacholder schmeckt beispielsweise harzig und fruchtig, während Zimt sowohl scharf als auch süß sein kann. Auch das Mundgefühl und die Textur eines Gins beeinflussen den Geschmack entscheidend.
Hier die wichtigsten Kategorien für Fortgeschrittene:
- Harzig: Wacholder, Pinie, Latschenkiefer
- Würzig: Muskat, Sternanis, Zimt, Koriander
- Erdig: Angelikawurzel
- Scharf: Ingwer, Pfeffer, Kardamom
- Süß: Süßholz, Süßfenchel, Vanille
- Zitrus: Zitrone, Orange, Bergamotte
- Fruchtig: Apfel, Schlehe, Beerenfrüchte
- Floral: Jasmin, Lavendel, Kamille, Hibiskus
- Grasig: Fenchel, Kümmel, Mädesüß
- Kräutrig: Rosmarin, Thymian, Salbei, Lorbeer
Das Ganze ist komplex, macht aber mit jedem Schluck Freude. Der Weg, die Aromen besser zu verstehen, ist ein Genuss für die Sinne und ein Abenteuer für den Geist.
Ginsorten in der Übersicht
Gin bietet eine beeindruckende Vielfalt, die sich in verschiedenen Sorten widerspiegelt. Hier eine kurze Übersicht:
- London Dry Gin: Der Klassiker mit strenger Wacholdernote und hoher Qualität.
- Old Tom Gin: Milder und leicht gesüßt, ideal für Anfänger.
- Plymouth Gin: Weich, erdig und würzig, mit subtiler Wacholdernote.
- New Western Style Gin: Kreativ und experimentell, oft mit überraschenden Zutaten wie Kaffee oder Pfeffer.
- Navy Strength Gin: Intensiv und hochprozentig, für Fortgeschrittene.
- Reserve Gin: In Holzfässern gereift, mit tiefem, komplexem Bouquet.
Fazit: Gin als Erlebnis für die Sinne
Gin ist weit mehr als ein alkoholisches Getränk – er ist eine Reise durch Aromen, Tradition und Handwerkskunst. Wie in der Landwirtschaft, wo die Wahl der richtigen Saat und die Pflege der Böden entscheidend sind, ist auch bei Gin die Balance der Zutaten der Schlüssel. Ein gutes Tasting ist ein Genussmoment, der alle Sinne anspricht und dir hilft, deinen persönlichen Lieblingsgin zu entdecken.
Prost, auf die Vielfalt des Gins!